Ein Augenzeuge erzählt
In ein paar Minuten waren wir am Pferdemarkt, wo ich bereits die ganze Gemeinde versammelt angetroffen habe. Die Frauen und Kinder standen im abseits, waren also schon ausrangiert und sollten nach Hause gehen. Alle waren nur notdürftig angekleidet, meistens im Nachthemd und mit Oberkleidern übergeworfen. Sie erzählten mir dort, die Synagoge und die Schulgebäude wären nachts niedergebrannt worden. Der Lehrer Alexander Freund und seine Frau wären nachts um 1.30 Uhr aus dem brennenden Haus geflüchtet. Sie sollten womöglich verbrannt oder totgeschlagen werden, aber wie durch ein Wunder sind sie im Dunkeln in der draußen stehenden Menge untergetaucht, die alle sehr interessiert zusahen, wie auf eine Frau dreingeschlagen wurde, und sie in Todesangst schrie: „Ich bin keine Jü- din!“ Es war nämlich die Hauswärterin Frau Wulf. Sie hat die Frau und Herrn Freund zugedachten Schläge bekommen, als sie aus dem brennenden Haus flüchtete. Sie ließen erst von ihr ab, als sie erkannt wurde. Mit den Frauen und Kindern wurden auch einige Männer ausrangiert, und zwar die, die als polnische Staatsangehörige angesehen wurden. Alle anderen, etwa 40 Männer, darunter der 72-jährige getaufte Jude Leopold Hahlo, von evangelischer Religion, wurden am 10. November an der noch brennenden Synagoge vorbeigeführt. Von dort ging es durch die belebten Geschäftsstraßen – wie Haarenstraße – Lange Straße – Schloßplatz – Damm – zum Gefängnis. Überall stand Pöbel herum, aber es ging verhältnismäßig ruhig zu. Nur halbwüchsige Schuljungen, die infolge der Judenaktion anscheinend schulfrei hatten, machten sich über uns lustig und überboten sich in faulen Witzen. Gegen 10 Uhr vormittags trafen wir im Gefängnis ein. Quelle: Heinrich Hirschberg, Meine letzten Tage in Deutschland, Oldenburger Jahrbuch 85 (1985), S. 13 f.
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Erinnerung an den Leidensweg Oldenburger Juden.
Quelle: Nordwest-Zeitung, 7.11.1987
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